Ines Papert

Romsdalen, Norwegen

Erstbegehungen in Romsdalen

Nach einer Erkundungsfahrt von Rudi Hauser reisten wir 2012 an die Westküste Norwegens. Hier schlängeln sich die Fjorde zwischen steilen Schluchten und gigantischen Felswänden hindurch. Das Gebiet ist unter Basejumpern bekannt, doch bislang wenig bekannt für die Möglichkeiten schwieriger Eis- und Mixedlinien.

Thomas Senf
Foto: Thomas Senf

Intensive Erlebnisse enden nicht selten im Wirtshaus. Und manche beginnen eben dort.

Im Spätherbst sitzen mein Kletterkollege Kurt Astner und ich nach einem herrlichen Klettertag im Zillertal im Gasthaus Karlsteg in Ginzling. Am Nachbartisch unterhalten sich Rudi Hauser und Lukas Seiwald angeregt über ihren geplanten Eisklettertrip nach Norwegen. Wir hören interessiert zu. Offen und herzlich wie Österreicher eben sind, fragen sie uns spontan, ob wir nicht Lust hätten mitzukommen, um ein scheinbar wunderbares Gebiet auf Neurouten hin zu erforschen.

Unser Team: Rudi Hauser, Lukas Seiwald, Kurt Astner, Emanuele Ciullo, Thomas Senf und Scott Milton. Unsere Erwartungen waren groß, das Team stark und hoch motiviert. Ich bin neben sechs Männern die einzige Frau im Team. Von wegen klassische Rollenverteilung! Gleich am ersten Tag kauft Chefkoch Rudi erst einmal ein ordentliches Filettiermesser und pimpt unser Küchenequipment auf.

Wenn wir nach erfolgreichen Klettertouren nach Hause kommen, verwandelt sich unser Wohnzimmer binnen Minuten in ein Kletterfachgeschäft. Allerdings mit leicht chaotisch arrangiertem Sortiment. Kollektives Aufräumen ist angesagt. Rudi, noch in Klettermontur, teilt jeden von uns ein. Holz holen, Wäsche Trocknen, Jacuzzi heizen, Wasser kochen, Bier kühlen, ...

Großer Schreck und „Surprice“ (WI6+/M8, 350m)

Bei perfekten Bedingungen um die Null Grad, starte ich mit Thomas Senf, unserem Alpin-Fotografen, in unsere erste Route in Litldalen. Ein massiver Eiszapfen nach 300m Kletterei im Eis ist unser Ziel. Mit mobilen Sicherungen ausgestattet, nehme ich diese Mixedlänge in Angriff. Der Fels gibt tatsächlich Risse für Camalots und Keile her. Dann sichere ich mich ein letztes Mal an einer Eisglasur, bevor es an den gigantischen Zapfen geht. Vorsichtig lehne ich mich vom Felsen nach außen, schlage mit dem linken Eisgerät in den Zapfen. Ich setze das zweite dazu, und schwinge meine Füße vorsichtig hinüber.

Plötzlich ein Riss unter meinen Eisgeräten, der tonnenschwere Zapfen reist ab und stürzt unter mir in die Tiefe. Ich hänge mit beiden Füßen plötzlich in der Luft, muss kurz den Schrecken verdauen und pendle meine Füße zurück zum Fels, um die sichere Glasur zu erreichen. Mein erster Gedanke, ob Thomas unter dem felsigen Überhang genügend sicher platziert ist. Ich rufe ihm zu und er gibt grünes Licht von unten. Alles gut gegangen. Der Schrecken sitzt tief, doch die Route möchte beendet werden. Nun besteht zwar keine Gefahr mehr, aber der Zapfen wurde zu einem Eisdach, welches ich nur mit großer Anstrengung überwinden konnte.

„Quattro Naziones“ (WI 6/M9/A1, 500m)

Am oberen Talabschluß des Eikesdals entdecken wir eine Mixedvariante. 400 Meter leichte Kletterei führten mich mit Lukas Seiwald, Thomas Senf und Emanuele Ciullo dort hinauf, bevor es ernst wird. Das Ziel: hoch über dem Tal, 40m mit mobilen Sicherungen durch den steilen Granit an den abschließenden Eiszapfen. In Wandmitte muss ich jedoch einen Bohrhaken (mit der Hand) platzieren, um einen Bodensturz zu vermeiden. Bis zum Ausstieg bleibt jeder Meter anspruchsvoll und meine Partner sichern voller Geduld und motivieren mich, alles aus mir rauszuholen. Ich komme oben an und bin total erschöpft. An eine freie Begehung ist heute nicht mehr zu denken. Wir müssen den weiten Aufstieg noch einmal in Angriff nehmen. Doch starke Schneefälle und die hohe Lawinengefahr machen das Unternehmen unmöglich. Die freie Begehung bleibt ein Ziel für die Zukunft.

Als absolutes Highlight unserer Reise ging es mit einem Fischerboot von Eisvag über den Eresfjord zur gegenüberliegenden Wand. Hoch über dem Fjord, kletterte ich mit Lukas und Scott „Sea Gull Jonathan“ und zeitgleich erklimmen Rudl, Kurt und Thomas „Off Shore“. Uns gelingen zwei nebeneinander liegende 250m Eislinien, die noch keiner vor uns geklettert war. Ein Erlebnis der besonderen Art.


„50$ King Crab” (WI6/M10, 350m)

Noch nie bin ich und Thomas Senf derartig orang/gelbes Eis geklettert. Der Zapfen erinnert uns an die Beine der King-Crabs, die Rudl am Tag zuvor in den Kochtopf beförderte. Meine Moral war inzwischen fast aufgebraucht, so dass ich den 50$ King Crab mit 5 Bohrhaken absicherte. Die steile und schwierige Kletterei an geschlossenem Fels ließ kaum mobile Sicherungen zu. Ein Spannweitenzug wurde zur absoluten Schlüsselstelle, die ich erst nach mehreren Versuchen- und dem Absturz meines Eisgerätes schließlich doch knacken konnte. Das abschließende Eis ist vom Feinsten, was ich jemals geklettert bin.


„Perly on Ice“ (WI6/ M9 70m Trad)

Eine Mixedlinie, die ich nach Vorarbeiten und zahlreichen weiten Stürzen an unserem letzten Tag frei klettern konnte, während die Temperaturen schon weit über den Gefrierpunkt gingen. Diese Route habe ich unserer „Pflegemutter Perly” gewidmet, die uns während unseres Aufenthaltes mit Informationen, frischem Lachs und bester Unterkunft versorgte.

Von unserer Basis, einer idyllische Fischerhütte am Sunndalenfjord aus, erkundeten wir die Gebiete Sunndalen, Amotan, Eikesdal, Eresfjord und Trollveggen.

Fakten

Danke an alle, die dabei waren und besonders Rudi Hauser, der diese Reise möglich gemacht hat.

Erstbegehungen Ines Papert mit Partner:

  • Sunndalen/Litldalen: Nice Surprice WI6+/M8 350m Ines Papert/Thomas Senf
  • Eikesdal: Quattro Nazioni WI6/M9/A1 500m Ines Papert/Lukas Seiwald
  • Eresfjord (Boatstripp): See Gull Jonathan WI6 250m Ines Papert/Lukas Seiwald
  • Eikesdal: 50$ King Crab WI6/M10 300m Ines Papert/ Thomas Senf
  • Sunndalen/Powerhouse: Perly on Ice WI 6/M9 70m Ines Papert/Thomas Senf
  • Übernachtungsmöglichkeit und herzliche Gastfreundschaft: Sunndalsfjord Cottages www.fredsvik.com

Geschichten aus Eis & Fels