Ines Papert

Euphorie, Rückschlag und ein Quantum Trost

Erneut bleibt das Team am Kyzyl Asker erfolglos aber findet Trost an der Great Walls of China

Zum zweiten Mal reiste Ines Papert in die abgelegene Gebirgsregion Kookshal Too im Thien Shan in Kirgistan. Das Ziel: Die bisher undurchstiegene Südostwand des Mount Kyzyl Asker.

Archiv Ines Papert
Foto: Archiv Ines Papert

Hätte die steile, 1200 Meter hohe Wand aus Eis und Fels nicht zahlreiche Schwierigkeiten in Bezug auf Kletterkönnen, Logistik und Bedingungen parat, wäre sie wohl nicht mein Ziel geworden. Zudem eine zusätzliche Herausforderung, eine noch immer undurchstiegene Linie.

Tyndyk, das Dach einer Jurte.

Erstmals wurde ich von meinem 11-jährigen Sohn Emanuel bis ins Basislager begleitet. Auf unserer mehrwöchigen Reise durch Kirgistan lebten wir mit den Nomaden. In aller Bescheidenheit und gerade deshalb so erfüllend. Wir reisten dabei in Begleitung meines Freundes Wolfgang Kurz und des Fotografen Franz Walter vom Issyk Kul See über den Song Kul See bis nach Naryn, kurz vor der chinesischen Grenze. Kirgistan gemeinsam mit meinem Sohn hoch zu Pferd zu erkunden, war ein wunderschönes, sehr intensives Erlebnis.

Als Anfang September meine beiden Kletterpartner Wolfgang Russegger und Charly Fritzer in Kirgistan eintrafen, war ich euphorisch und bestens akklimatisiert. Die Wiedersehensfreude, Vorfreude auf den Berg und die Erwartungen waren gigantisch.

Der schönste Teil der Reise war zu ende, als Manu zurückkehren musste.

Kurz vor Erreichen unseres Basislagers aber wurde unsere Begeisterung ziemlich jäh gestoppt: Unser Truck steckte tagelang in den Sümpfen fest. Längere Regenfälle hatten den Boden derart aufgeweicht, dass an eine Weiterfahrt nicht mehr zu denken war. Ganze 20 Kilometer und 1000 Höhenmeter trennten uns nun vom Kyzyl Asker. Der Materialtransport zum Berg? Eine enorme konditionelle Herausforderung für alle! In letzter Minute gelang es unserem Fahrer den Truck „Ural“ aus den Sümpfen zu befreien und so schaffte es Emanuel in Begleitung von Wolfi und Franz gerade noch rechtzeitig zum Schulbeginn wieder nach Hause.

Der Abschiedsschmerz von Manu war dieses Mal fast unerträglich. Ein Schmerz, der normalerweise schwindet, sobald die eigentliche Aufgabe beginnt. Doch ich war zum Nichtstun verdammt. Womit nämlich niemand rechnen konnte: Meine beiden österreichischen Kletterkollegen wurden nach Erreichen des Basislagers vorerst richtig krank. Nachdem die Höhe von fast 4000 Meter und die Kälte eine rasche Genesung verhinderten, begannen wir entsprechend verspätet mit dem mühsamen Materialtransport ins ABC (Advanced Basecamp). Dabei verschwand Charly einmal im Respekt einflößenden Labyrinth des Comorva Gletschers in einer Spalte. Er blieb Gott sei Dank unverletzt, aber der Schock saß bei uns allen tief. Erst nach 10 Tagen erreichten wir unser ABC.

Wir sitzen fest.

Ein Wettercheck beim Meteorologen Karl Gabl aus Innsbruck versprach mehrere Tage stabiles Hochdruckwetter. Sollten wir unser Ziel schon jetzt versuchen? Ich fühlte mich nach dem mühsamen Start der Expedition voller Energie und war total motiviert, sodass wir Charlys Vorschlag, das gute Wetter zu nutzen, sofort zustimmten.

Meine kranken Begleiter.

Es geht los

Am 12. September stiegen wir um 4 Uhr in die steile Eisroute ein. Sehr früh, gegen 10 Uhr, erreichten wir den einzig brauchbaren Biwaksitzplatz auf 5300 Metern. Die Sonne ließ jedoch bereits das Eis schmelzen. Bedrohlicher Eisschlag machte die Entscheidung leicht, hier den nächsten frühen Morgen abzuwarten. Doch Charly äußerte bald sehr deutliche Symptome eines beginnenden Hirnödems. Die Entscheidung war klar: sofort abseilen!

Zwar erholte sich Charly – Gott sei Dank – wieder im ABC, jedoch stellte sich bei Wolfi nach all den Widrigkeiten und der einwöchigen Zwangspause ein schleichendes Motivationstief ein. Kein Wunder! Zweifel und immer wiederkehrende gesundheitliche Probleme schwächten das gesamte Team, strapazierten uns auch im Zusammenhalt. Mir fiel es schwer zu akzeptieren, dass unter diesen Umständen ein weiterer Versuch an meinem Traumberg, dem Mount Kyzyl Asker, unmöglich war. Schließlich hatte ich nun zwei Jahre dieses Ziel vor Augen, ihm alles untergeordnet, mich darauf fokussiert, mein Leben und Training entsprechend danach ausgerichtet, viel Kraft in das Projekt investiert. Sollte alles umsonst gewesen sein? Sollten wir aufgeben? Einfach abbrechen und nach Hause fahren? Nein! Wir suchten nach einer Alternative, einer Belohnung nach all den Widrigkeiten.

Die Stimmung hält sich in Grenzen.

Quantum of Solace

Wir brauchten Trost und fanden ihn in der 600 Meter hohen „Great Walls of China“. Während sich unser körperlich ohnehin schon schwer angeschlagener Charly im ABC erneut mit einer Magenverstimmung quälte, stiegen Wolfi Russegger und ich beim ersten Tageslicht in die Route ein. Steiles bis überhängendes Eis und Felsgelände bei trickreicher mobiler Absicherung forderten meine gesamte Moral und Kletterkönnen. Fragile Eissäulen, überhängende Fels-/Mixedpassagen wechselten mit hüfttiefem Pulverschnee ab, der absolut keinen Halt versprach. Unter großer Konzentration und dem Einsatz meiner ganzen Willenskraft kletterte ich nach 11 Uhr auf den höchsten Punkt der Wand. Zufrieden sicherte ich Wolfi nach, der nun auch wieder ein Lächeln im Gesicht hatte.

Ein wenig Stretching in unserer neuen Route "Quantum of Solace"

Am 29. September schließlich, nur wenige Stunden vor dem Wintereinbruch, erreichte uns unser Truck und brachte uns bei heftigem Schneesturm zurück in die Zivilisation – zur lang ersehnten, warmen Dusche!

Expeditionsbericht 2010

Expeditionsreport 2016

Fakten

Great walls of China, Erstbegehung "Quantum of Solace"

(ABO WI 7+ M7, 600m)

Geschichten aus Eis & Fels