Ines Papert

Finnmannen

Erstbegehung in Senja/Norwegen

Ines stellt ihre Fähigkeiten auf Senja Island in Norwegen, jenseits des nördlichen Polarkreises erneut auf die Probe und reist mit der Neutour ‚Finnmannen‘ M9+/WI7 clean (ohne die Verwendung von Bohrhaken) zurück nach hause.

Thomas Senf
Foto: Thomas Senf

Ich reise im Februar mit meinen Freunden Thomas Senf, Nina und Christian Schlesener erstmals nach Senja Island, um auf Neulandsuche zu gehen. Und wir werden belohnt dafür, dass wir mit nur wenigen Informationen in der Tasche ein kleines Restrisiko eingehen, mit leeren Hosentaschen nach hause zurückzukommen.

Google Earth verspricht steile Wände, Informationen im web gibt es nicht viele. Wir sollten nicht enttäuscht werden.

Bis auf ein paar klassische Linien stellte sich der Südwesten tatsächlich als nahezu unerschlossen heraus. Ich bin sofort begeistert von dieser wunderbaren Fjordlandschaft, dem Farbenspiel der endlosen Sonnenaufgängen und -untergängen.

Mir gelingt das Highlight, eine 400m Mixed-Erstbegehung gemeinsam mit Bent Vidar Eilertsen am letzten Tag unserer Reise, nachdem ich 24h zuvor mit Thomas Senf die Vorarbeiten abschliessen konnte. Nach 19h im Seekajak und in der Wand, ist das Werk vollbracht. Die "Lappländerin" bekommt einen "Finnmannen" an ihre Seite.

Technisch höchst anspruchsvolle Kletterei auf Mikroleisten, ausschliesslich mobil gesichert (nur wenige davon wirklich solide), einer Hand voll Normalhaken und "runouts" auf hauchdünnen Eisglasuren machen das Erlebnis zu einem richtigen Abenteuer. Meine freie Begehung gelingt, gemeinsam mit dem Local Bent Vidar Eilertsen. Sein Kommentar bringt mich zum Schmunzeln: "This is a route for a real man" Der Norweger wird sich lange an diesen Tag erinnern. Bricht ihm doch gleich zu Beginn der 20m Plattentraverse die Haue seines Eisgerätes ab. Mit einigen Pendelstürzen und allen technischen Raffinessen schafft der den anspruchsvollen Nachstieg und wir können die komplette und meine freie Begehung bis zum Ausstieg unter Sternenhimmel und Nordlichtern fortsetzen.

Große Freude kaum überschattet von meiner endlosen Müdigkeit, dass wir gemäß norwegischer Klettertradition ausschliesslich mit mobilen Sicherungen ausgekommen sind. Meine Freunde Nina und Schlesi warten bereits: "Da hast du es mal wieder spannend gemacht." Keine Minute länger hätte die Begehung dauern dürfen und wir hätten unseren Abflug morgens 6 Uhr in Tromsö versäumt.

Weitere Routen gelingen.

Schlesi und Thomas holen sich die erste komplette Begehung von "Great Corner" M7+, 300m. Eine weitere neue Route endet für Thomas Senf und mich auf dem Gipfel. Wir nennen sie "Aurorabuttress" M7/WI6+ 250m. In der Nacht nach unserer Begehung ereignet sich ein magisches Farbenspiel in allen Grüntönen über unserer Wand, gleich oberhalb unserer "Senjalodge".

Typisch Norwegen: An unserem einzigen Ruhetag in 10 Tagen, machen wir einen Ausflug zum Fischerhafen, in der Absicht, den lokalen Fischern nach ihrer Rückkehr vom Meer frischen Fisch abzukaufen. Wortkarg aber herzlich wie die Norweger nun mal sind, drückt der Fischer uns Mädels je einen 8 kg fangfrischen Heilbutt in die Hand. Das sei ein Geschenk, meinte er nur kurzangebunden. Jeder Versuch, ihn dafür zu honorieren, scheiterte. Ich liebe dieses Land, seine Bewohner und deren Mentalität.

Fakten

Schwierigkeit: M9+, WI7

Länge: 400m

Material: Eisschrauben, Hakensortiment, Peckers, Camalots, Klemmkeile

Abstieg: über die Rückseite zu Fuss

Übernachtung: in der 'Senja Lodge' in Senjahopen, Bent versorgt Euch mit allen nötigen Informationen zum Eisklettern auf der Insel

Geschichten aus Eis & Fels