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Die Idee dafür geisterte schon lange in meinem Kopf herum. Diesen Winter hatte ich Glück, denn speziell bei dieser Route müssen viele Faktoren übereinstimmen: Beispielsweise war die Route viele Jahre nicht durchgehend geformt gewesen. Deshalb kommt es schon fast einem Wunder gleich, dass die Begehung möglich war, denn in diesem Winter ist sonst kaum noch Eis zu finden. Vom Timing her braucht es eine Punktlandung, denn auch der Informationsfluss muss stimmen. Zwei Tage vor der Tour kam der unerwartete und doch erhoffte Anruf von Ralph Weber, einem schweizer Freund, zum richtigen Zeitpunkt. Ich war so happy.
Im kitschigen Morgenrot brachen wir auf und fanden uns bei perfekten -5° C unter strahlend blauem Himmel wieder. Also stiegen Thomas Senf (auch ein Landsmann aus Sachsen, den es in die Berge verschlagen hat und der inzwischen auf dem Weg zum Bergführer ist) und ich auf zur Breitwangfluh.
Was für ein Pech, dass ausgerechnet in diesem Jahr das Bähnli nicht geht. So legten wir die 1000 Höhenmeter zum Einstieg mit etwas Jeep-Unterstützung zurück, den Rest zu Fuss. Mit an Bord Rainer Eder, ein befreundeter Kletterphotograph, der sich sicher war, ein paar schöne Bilder mit nach Hause nehmen zu können.
Als ich unter diesem ausladenden Überhang, bestückt mit Eiszapfen, die uns wie Haifischzähne angrinsten, stand, bekam ich weiche Knie. Wohl das Resultat einer Mischung aus Respekt und Vorfreude. Im Hall unserer Stimmen – wie in einer Kathedrale – begann ich ein Stück von J.S. Bach aus Zeiten im Kirchenchor zu singen. Das half mir, den sicheren Boden unter den Füßen zurückzugewinnen. Die Stimmung war nun super, die Jungs gaben alles.
Als ich, noch durstig vom Aufstieg, zum ersten Schluck Tee aus der Thermo ansetzte, blieb er mir fast im Hals stecken. Voll versalzen! Was, ist mir das passiert? Der Tee war ungenießbar… Naja, es hätte wohl Zucker sein sollen. Nun stieg ich mit klebrigem Gaumen und klopfendem Herzen in dieses Wunderwerk aus Eis ein.
Ich kletterte die ersten paar Meter langsam und sorgfältig, sehr bedacht darauf, keinen Fehler zu machen. Denn die Absicherung in den Seillängen besteht aus ein paar Normalhaken, der Rest ist mit Eischrauben abzusichern. Mit jedem Meter, der mich vom Boden wegbrachte, gewann ich Sicherheit und freute mich sehr bald, den ersten Stand erreicht zu haben und die M9 Seillänge durchstiegen zu sein.
Doch es ging weiter mit M10, einem ausgesetzten 35m Quergang mit leichtem Anstieg. Um ein Haar hätte ich beim Setzen einer Eisschraube in eine Eisglasur mein Eisgerät fallen lassen. Nur mit großem Glück und durch Zufall blieb es an der Kapuze meiner Jacke hängen, und gerade bevor es den Halt verlor, hatte ich es wieder in der Hand. Ufff…das war knapp! Weiter ging’s in diesem vereisten Riss, den feinen Hooks bis zum brüchigen Band. Hier erreichte ich den zweiten Stand „on sight“, froh, nicht gestürzt zu sein, aber mit müden Unterarmen. Thomas folgte zügig und ohne Zögern, eine echte Klasseleistung in einem Quergang. Mein Durst wurde mittlerweile fast unerträglich.
Es lagen noch zwei Längen in Mixed und Eis vor uns. Phantastische Eismeter beschlossen diese wunderbare Route. Voller Stolz und mit einem Jodler seilten wir uns ab zum Einstieg. Hinter uns lag eine der schönsten Mixedrouten, die ich je klettern durfte.
An dieser Stelle ist es mir wichtig zu erwähnen, welch großen Respekt ich Robert Jasper entgegenbringe, der bereits vor exakt 10 Jahren mit „The Flying Circus“ einen Meilenstein im Mixedklettern setzte, insbesondere wenn man den Unterschied zwischen dem damaligen und dem heutigen Stand der Ausrüstung und die Entwicklung im Eisklettern berücksichtigt.
Fakten
7.2.2008 on-sight Begehung der Route Flying Circus M10 durch Ines Papert