Ines Papert

Arwa Tower

Expedition zum Arwatower 6352m im indischen Garhwal Himalaja

Die Expedition zum Arwa Tower in Indien sollte eine Feuertaufe sein. Würde ich Blut lecken am Bergsteigen im Himalaja? Wie würde ich die Höhe vertragen? Diese Reise sollte ein Wegweiser in die Zukunft werden.

Archiv Ines Papert
Foto: Archiv Ines Papert

Meine erste große Expedition führt mich in den indischen Teil des Himalaja. Das Garhwal ist nicht nur eine atemberaubend schöne, sondern höchst spirituelle Region. Die göttlichen Berge ziehen Pilger aus ganz Indien an. Außerdem entspringt hier, eingerahmt von Sechs- und Siebentausendergipfeln, die heilige Quelle des Ganges. Religion und Natur sind im Garhwal auf beeindruckende Weise miteinander verbunden. Der 6.352 Meter hohe Arwa Tower wird mich lehren und prägen.

Das Damenduo mit Anita Kolar und mir selbst.

Meine Freunde Stephan Siegrist, Denis Burdet und Thomas Senf haben das große Ziel, die Nordwand des Arwa Tower erstzubesteigen. Ich bin dankbar, dass ich mit darf. Relativ unerfahren in großen Expeditionen steige ich natürlich nicht in deren Projekt ein, sondern verfolge ein eigenes Ziel: Die Wiederholung der Franzosen-Route über den Westpfeiler. Aber ich profitiere natürlich unheimlich von der alpinistischen Erfahrung und Logistik der präzisen Schweizer. Im Vorfeld muss ich mich um wenig kümmern. Meine Expedition ist als eine Art Schnupperkurs geplant, entwickelt sich aber ziemlich dramatisch zu einem Crashkurs im Expeditionsbergsteigen. Die damals 18-jährige Anita Kolar aus der Schweiz wird mit mir eine Seilschaft bilden.

Im Basislager.

Ab Delhi geht es tagelang auf holprigen Straßen im Bus über Rishikesh und Joshimath nach Badrinath. Von dort aus begleiten uns Träger und ein Koch ins 4.350 Meter hoch gelegene Basislager. Ich bin Chefkochs Liebling, bin ich doch die Einzige, die noch normal isst. Alle anderen sind durchfallgeplagt bereits auf Plain Rice umgestiegen. Während sich die drei Burschen relativ rasch erholen, geht es Anita zusehends schlechter. Auch klagt sie über starke Kopfschmerzen.

Anreise

Anita und ich haben im Vorfeld gemeinsam am Großglockner trainiert. Dort spürte ich bereits, wie sehr sich Anita unter Druck setzt. Auch hier, auf dem Weg ins Basecamp, hält sie, obwohl körperlich angeschlagen, tapfer mit. Ihre Motivation und ihr Ehrgeiz mit 18 Jahren sind bemerkenswert. Jedoch überspielt sie ihre Schwäche. Im Basecamp angekommen kippt sie in ihr Zelt, reagiert kaum, als wir sie ansprechen. Unaufhörlich hustet sie. Rasselnd. Ihr Zustand verschlechtert sich praktisch im Minutentakt. Allen ist sofort klar, was das bedeutet.

Anita zurück in Badrinath.

Sie muss runter und zwar rasch! Die Männer basteln aus einem Haulbag einen Schlitten. In einer sechsstündigen, kräftezehrenden Nachtaktion ziehen und tragen wir Anita zu einer leerstehenden Militäranlage in Gastoli. Entsprechende Medikamente und die tiefere Lage wirken Gott sei Dank. Sie kann am nächsten Morgen mit mir nach Badrinath absteigen und fährt weiter talabwärts mit dem Bus nach Joshimath. Dort soll sie sich ein paar Tage im Hotel erholen.

Materialtransport ins ABC

Während ich wieder ins Basecamp aufsteige, ertappe ich mich bei dem Gedanken, ob die Zeit noch reichen wird für einen gemeinsamen Versuch in der Wand. Meine Ungeduld ist allerdings völlig fehl am Platz. Gerade in den hohen Bergen. Ich bin froh, dass wir Anita helfen konnten. Nur das zählt.

Nach ein paar Tagen stößt Anita wieder zu uns. Sie ist natürlich matt und etwas angeschlagen, hat sich aber insgesamt recht gut erholt. Wir strahlen, können wieder Witze reißen, blödeln, lachen, empfinden riesengroße Freude. Der Vorfall, so dramatisch er auch war, hat uns als Team sehr gut getan, zusammengeschweißt. Alle für einen. Lektion gelernt. Das Team macht einen stark, nicht das Ego. Das schwächt sogar mitunter.

Anita und ich wagen schließlich einen einzigen Versuch in der Westwand und schaffen immerhin zwei Drittel unserer Route, ehe das Wetter kippt. Ich gebe zu, dass mir der aufziehende Sturm nicht ungelegen kommt. Abbruch und retour ins Lager. Die Verantwortung für Anita ist mir zu groß. Ich bin der Situation noch nicht gewachsen. In Sanskrit bedeutet Arwa übrigens „Pferd“. Es wollte sich von uns beiden „Expeditions-Greenhorns“ noch nicht zähmen lassen. Auch Stephan, Denis und Thomas müssen kämpfen, ehe ihnen die Erstbegehung der Route „Lightning Strike“ im Bigwall-Stil gelingt. Ganze zwölf Tage verbringen sie dabei in der Wand.

Meine Freunde Thomas, Stef und Denis in ihrer neuen Route.

Geschichten aus Eis & Fels